Allgemeine Informationen über Essstörungen

+ Was sind Essstörungen Von einer Essstörung spricht man, wenn Menschen nicht gemäss ihren körperlichen Bedürfnissen essen. Sie haben oft kein normales Sättigungsgefühl und je nachdem auch kein Hungergefühl. Sie stützen sich auf Kalorienangaben ab oder stellen Essregeln auf. Dieses kontrollierte Essverhalten kann umkippen in Momente oder Phasen ungeregelter Nahrungsaufnahme, die mit einem quälenden Gefühl von Kontrollverlust einhergehen. Mehr →

Menschen mit Essstörungen beschäftigen sich übermässig viel mit Essen, Gewicht und Figur. Sie leiden in der Regel unter Selbstzweifeln und inneren Konflikten. Ihr Selbstwertgefühl und Selbsteinschätzung hängen stark von der Bewertung des eigenen Aussehens und Gewichts ab – und auch davon, ob es ihnen gelingt, die Essregeln einzuhalten, die sie sich vorgeben.

Viele Menschen mit Essstörungen fühlen sich in ihrem Körper nicht Zuhause und nehmen seine Bedürfnisse nur schwer war. Gleichzeitig kann ihnen der Umgang mit ihren Gefühlen schwerfallen. Ihr Essverhalten dient daher in starkem Masse der körperlichen und emotionalen Beruhigung: Es hilft, innere Spannung und Erregung abzubauen und verunsichernde, verwirrende oder unangenehme Gefühle zu regulieren. Dieser Mechanismus ist vielen nicht bewusst, und die Idee, dass sie das gestörte Essverhalten «brauchen», befremdet sie. Vor allem, da viele unter der Essstörung leiden.

Durch die ständige Beschäftigung mit Ess- und Gewichtsthemen können Beziehungen, Freizeitaktivitäten, Beruf und Ausbildung vernachlässigt werden. Das Essverhalten, das zwischen ausgesprochen zwanghaft und völlig haltlos schwanken kann, macht es für viele schwer, mit anderen Menschen zu essen. Selbstabwertung, Scham über die Essstörung und Abweisung des eigenen Körpers erschweren es, tiefe, ehrliche Freundschaften und Liebesbeziehungen zu pflegen. Nicht wenige Menschen mit Essstörungen fühlen sich daher sehr allein, und bei einigen wird die Essstörung zur einzigen Begleiterin in der Einsamkeit.

Essstörungen können mit schwerwiegenden körperlichen Begleit- und Folgeerscheinungen einhergehen und die Lebensqualität erheblich einschränken. Daher ist eine Behandlung ausgesprochen sinnvoll.

+ Warum entwickeln sich Essstörungen? Keine Essstörung hat nur eine Ursache. Essstörungen entstehen durch das Zusammenspiel verschiedener bio-psycho-sozialer Faktoren. Es gibt viele Faktoren: Erbanlagen, Persönlichkeit, Familie, Umfeld, Lebensumstände, Gesellschaft. Mehr →

Es kann auch sein, dass dem problematischen Essverhalten eine körperliche Ursache – etwa hormonelle Probleme, eine Fruktoseintoleranz usw. – zugrunde liegt. Es gibt Faktoren, die mit einem erhöhten Risiko einhergehen, eine Essstörung zu entwickeln: Perfektionismus, hohe Leistungsorientierung, Zwanghaftigkeit, Impulsivität, geringe Stresstoleranz, niedriger Selbstwert, soziale Hemmungen, Konfliktvermeidung, schwierige familiäre Situationen, Hänseleien durch Peers, Überbehütung, mangelnde Zuneigung oder Vernachlässigung durch die Familie, körperlicher oder psychischer Missbrauch, psychische Störungen und vieles mehr.

Die Entstehung einer Essstörung kann nicht auf einzelne Ursachen zurückgeführt werden. Die Entstehung wird durch verschiedene Faktoren beeinflusst, die von Mensch zu Mensch unterschiedlich sind.

Gesellschaft

  • Idealisierung von Schlanksein
  • Mobbing, Hänseleien
  • Sportarten und Beruf, die ein niedriges Körpergewicht verlangen

Familie

  • Schwierige Familienverhältnisse
  • Kritik, Bemerkungen bezüglich Gewicht oder Essverhalten
  • zu hoher Leistung- und Erfolgsdruck
  • Psychische Erkrankung der Eltern (z. Bsp Essstörung, Suchtverhalten, Depression)

Individuelle Faktoren

  • Früher Begin der Pubertät
  • Angst vor dem Erwachsenwerden
  • niedriges Selbstwertgefühl
  • Kontrolle über das Essen, gibt Kontrolle über (chaotische) Umwelt
  • Schwierigkeiten bei Stressbewältigung
  • Traumatische Erlebnisse

Biologische Faktoren

  • Vererbung
  • Genetik
  • Hormonelle Veränderungen in der Pubertät
  • Veränderung von Serotonin/Dopamin Niveau

Essstörungen können in jeder Lebensphase auftreten. Oft beginnen sie in der Jugend und im jungen Erwachsenenalter, einer sehr sensiblen Lebensphase, die geprägt ist von massiven Veränderungen. Die Verabschiedung von der Kindheit, das Hineinwachsen in einen Frauen- oder Männerkörper, die Ablösung vom Elternhaus, Lebensplanung und Selbstfindung in einer Gesellschaft, in der Frauen- und Männerollen nicht mehr klar definiert sind – all das kann Angst, Ambivalenz und ein Gefühl von Überforderung auslösen. Das Bedürfnis nach Kontrolle des Essverhaltens und des Gewichts sind Ausdruck des Bedürfnisses, zumindest etwas im Leben im Griff zu haben.

Erschwerend kommt heute das übertriebene Schlankheitsideal hinzu. Das Idealgewicht sank während den letzten Jahrzehnte, wohingegen das durchschnittliche Körpergewicht gestiegen ist. Die westliche Gesellschaft bringt Schlanksein in Zusammenhang mit Schönheit, Glück, Erfolg und Gesundheit. Dies, obwohl immer mehr Studien zeigen, dass Übergewicht bis zu einem BMI von 30 keine gesundheitlichen Nachteile mit sich bringt, und dass es bei älteren Menschen sogar mit besserer Gesundheit einhergeht. Das Idealbild vom Schlanksein widerspricht also der Realität vom Schlanksein. Ein Ideal ist immer etwas schwer zu Erreichendes. Es ist daher verständlich, dass in unserer Gesellschaft, in der Nahrung in Überfluss vorhanden ist, der Verzicht darauf zum Ideal wird. Umgekehrt wird in Gesellschaften, in denen Nahrung knapp ist, Dicksein zum Ideal.

Gerade für Jugendliche, die in Frauen- und Männerkörper hineinwachsen und ihre Identität darin finden müssen, kann das Auseinanderklaffen von Ideal und Realität eine massive Überforderung darstellen. Die Pubertätsentwicklung geht mit der Einlagerung von mehr Körperfett einher, und viele Jugendliche durchlaufen eine eher «mollige» Phase. Diäten sind in dieser Altersstufe erschreckend häufig. Und sie sind in vielen Fällen kontraproduktiv – umso mehr, je radikaler sie sind. Zum einen ist eine rasche Gewichtszunahme nach Diätende häufig. Dieser «Jojo-Effekt» hängt damit zusammen, dass der Grundumsatz des Körpers während der Diät sinkt und der Körper sich auf die Mangelernährung einstellt. Zum anderen ist eine Diät der wichtigste auslösende Faktor für eine Essstörung bei 90% der Menschen, die ein erhöhtes Risiko dafür haben: Manche rutschen in eine Magersucht, bei anderen schlägt die Mangelernährung um in suchtartig erlebtes, unkontrolliertes Essverhalten.

+ Risikofaktoren, Auslöser und Schutzfaktoren

Risikofaktoren erhöhen die Wahrscheinlichkeit, an einer bestimmten Krankheit zu erkranken. Auslösende Faktoren führen dazu, dass die Krankheit effektiv ausbricht. Schutzfaktoren schützen uns davor, dass sie nicht ausbricht.

Manchmal hat jemand viele Risikofaktoren, eine Essstörung zu entwickeln, aber er oder sie entwickelt keine Essstörung, weil der so genannte auslösende Faktor (noch) fehlt oder auch, weil er oder sie viele schützende Faktoren hat, die den Ausbruch der Krankheit verhindern.

Risikofaktoren können sein: genetische Faktoren, hohe Ansprüche an sich selbst und Perfektionismus, noch nicht gefestigtes Selbstwertgefühl und weitere. Eine Essstörung kann sich entwickeln, wenn mehrere dieser ungünstigen Risikofaktoren zusammen treffen.

Hier noch ein paar Beispiele für auslösende Faktoren: Diäten, Übergangssituationen (z.B. Wohnortwechsel, Einstieg in die Arbeitswelt), Verlust von wichtigen Bezugspersonen (z.B. Eltern, Geschwister, gute Freundinnen * Freunde).

Schutzfaktoren Kein Schutzfaktor allein kann jemanden davor bewahren, eine Essstörung zu entwickeln. Je mehr schützende Faktoren aber da sind, desto kleiner ist die Wahrscheinlichkeit, an einer Essstörung zu erkranken.

z.Bsp. Persönlichkeitsmerkmale schützen vor Essstörungen:

  • Wenn jemand z.B. viel Selbstvertrauen hat und auch mal „Nein“ sagt
  • wenn jemand Gefühle zulässt und seine Bedürfnisse ernst nimmt
  • wenn jemand mit Konflikten und Problemen umgehen kann und sie nicht einfach verdrängt
  • wenn jemand seine Fähigkeiten realistisch einschätzen kann.

Auch das nächste Umfeld kann ein Schutzfaktor sein:

  • Wenn jemand z.B. spürt, dass seine_ihre Familie ihn_sie liebt, unterstützt und ihm*ihr ehrliche Anerkennung gibt
  • oder wenn jemand Freunde hat, die ihn*sie bei Problemen unterstützen
  • oder wenn jemand mit positiven Vorbildern aufgewachsen ist, was den Umgang mit Gefühlen, Konflikten und dem eigenen Körper betrifft.

Gesellschaft als Schutzfaktor:

  • Wenn jemand z.B. das heutige Schönheitsideal kritisch hinterfragt
  • wenn sich jemand nicht in irgendeine Rolle drängen lässt, auch wenn der gesellschaftliche Druck vielleicht hoch ist.

Umgang mit essen und trinken:

  • Wenn jemand gelernt hat, essen zu geniessen und auf die Signale des Körpers für Hunger und Sättigung zu hören
  • wenn jemand gelernt hat, dass Essen auch eine gesellschaftliche Angelegenheit ist, weil man sich dabei z.B. mit Freunden*innen oder der Familie austauschen kann.

+ Aktuelle Forschungen

Jüngste Forschungen haben acht Genorte identifiziert, die bei der Entwicklung einer Essstörung eine Rolle spielen könnten. Diese Studie untersuchte die Gene von 16.992 Menschen mit Anorexia nervosa und 55.525 ohne Anorexia nervosa.

Frühere Forschungen identifizierten zwei spezifische Gene, die das Risiko einer Person, eine Essstörung zu entwickeln, stark erhöhen. Diese beiden Gene, ESRRA und HDAC4, erhöhen die Wahrscheinlichkeit einer Person, eine Essstörung zu entwickeln, um 90 bzw. 85 Prozent.

Diese Gene sowie einige der anderen von Forschern identifizierten Gene sind an der Signalisierung des Appetits Ihres Gehirns beteiligt. Blockaden oder Unterbrechungen der Appetitwege können sich darauf auswirken, wie eine Person Hunger interpretiert.

Dieselben Bereiche stehen auch im Zusammenhang mit anderen Gesundheitsproblemen wie Angstzuständen und Depressionen. Es ist unklar, welche Beziehung diese psychischen Zustände zur Entwicklung von Anorexie oder anderen Essstörungen haben können. Studien haben einige dieser Gene mit der Entwicklung anderer Stoffwechselerkrankungen, einschließlich Typ-2-Diabetes, in Verbindung gebracht.

Dennoch glauben Forscher, dass Hunderte von Genen in Ihren Chromosomen die Entwicklung von Essstörungen erheblich beeinflussen. Sie fangen gerade erst an zu verstehen, wie diese Gene das Risiko für Anorexie und andere Erkrankungen beeinflussen.

Die Forschung hat auch herausgefunden, dass diese Genmutationen in Familien vorkommen. Diese Ergebnisse stammen aus verschiedenen von Studien. Familienstudien zeigen, dass Verwandte ersten Grades von Menschen mit Anorexia nervosa ein 10-mal höheres Risiko für die Erkrankung haben als Menschen ohne familiären Bezug. Ein Verwandter ersten Grades ist ein Elternteil, Geschwister oder Kind. Darüber hinaus ist Ihr Risiko, eine Essstörung zu entwickeln, höher, wenn Sie einen Verwandten mit Anorexie haben.

+ Essstörungen in der Schweiz Die aktuellsten CH-Zahlen (2012): 3.5% hatten in ihrem Leben mit einer oder mehreren der drei Essstörungen Anorexie, Bulimie oder Binge Eating zu tun. Damit liegt die Schweiz über dem europäischen Durchschnitt von 2.5%. Es wird angenommen, dass dies unter anderem damit zusammenhängt, dass gesunde Ernährung und ein schlanker Körper in der Schweiz besonders wertgeschätzt werden, und dass der Gesellschaftsdruck hoch ist. Mehr →

Frauen waren in der Untersuchung von Essstörungen etwa 4x häufiger betroffen als Männer (5.3% Frauen, 1.5% Männer). 1.1% der Befragten gaben an, Anorexie zu haben oder in der Vergangenheit gehabt zu haben. Die Personen waren im Schnitt knapp 18 Jahre zu Beginn ihrer Essstörung, wobei die Alters-Spannbreite bei Störungsbeginn von 12 bis 32 Jahre betrug. Die durchschnittliche Dauer bis zur Überwindung der Anorexie betrug etwas mehr als 2 Jahre.

1.7% der Befragten gaben an, Bulimie zu haben oder gehabt zu haben, 1.6 % gaben dies für Binge Eating an. Wenn man auch Menschen einschliesst, die regelmässige Esssanfälle kannten, welche aber (noch?) nicht das Ausmass einer Binge-Eating-Störung erreichen, kommen hier noch weitere 4.1% dazu. Zu Beginn der Bulimie und des Binge Eating waren die Personen im Schnitt älter als zu Beginn der Anorexie: 21.3 bei der Bulimie, 25.3 beim Binge Eating. Diese Zahlen sagen allerdings nicht so viel aus, denn die Alters-Spannbreite war bei Störungsbeginn ausgesprochen hoch: Als jüngstes Alter wurde 7, als höchstes 55 Jahre angegeben. Im Schnitt dauerte es über 5 Jahre bis zur Überwindung der Essstörung, wobei auch hier eine grosse Spannbreite zwischen kurzen und langen Verläufen bestand. Die längsten Verläufe wurden beim Binge Eating genannt.

Interessant ist auch, dass fast ein Drittel aller Befragten sich gemäss eigenen Angaben übermässig mit gesundheitsfördernder Ernährung beschäftigte, «gesunde» Nahrungsmittel wählte und «ungesunde» vermied und strikte Ernährungsregeln befolgte. Im Fachjargon wird dieses Essverhalten als Orthorexie bezeichnet. Als Erklärung hierzu wird wiederum das hohe Gesundheitsbewusstsein der Schweizer Bevölkerung genannt.

(BAG-Studie, 2012: Schnyder U., Milos G., Mohler-Kuo M., Dermota P., Prävalenz von Essstörungen in der Schweiz)

+ Essstörungen in der Schweiz Die aktuellsten CH-Zahlen (2012): 3.5% hatten in ihrem Leben mit einer oder mehreren der drei Essstörungen Anorexie, Bulimie oder Binge Eating zu tun. Damit liegt die Schweiz über dem europäischen Durchschnitt von 2.5%. Es wird angenommen, dass dies unter anderem damit zusammenhängt, dass gesunde Ernährung und ein schlanker Körper in der Schweiz besonders wertgeschätzt werden, und dass der Gesellschaftsdruck hoch ist. Mehr →

Frauen waren in der Untersuchung von Essstörungen etwa 4x häufiger betroffen als Männer (5.3% Frauen, 1.5% Männer). 1.1% der Befragten gaben an, Anorexie zu haben oder in der Vergangenheit gehabt zu haben. Die Personen waren im Schnitt knapp 18 Jahre zu Beginn ihrer Essstörung, wobei die Alters-Spannbreite bei Störungsbeginn von 12 bis 32 Jahre betrug. Die durchschnittliche Dauer bis zur Überwindung der Anorexie betrug etwas mehr als 2 Jahre.

1.7% der Befragten gaben an, Bulimie zu haben oder gehabt zu haben, 1.6 % gaben dies für Binge Eating an. Wenn man auch Menschen einschliesst, die regelmässige Esssanfälle kannten, welche aber (noch?) nicht das Ausmass einer Binge-Eating-Störung erreichen, kommen hier noch weitere 4.1% dazu. Zu Beginn der Bulimie und des Binge Eating waren die Personen im Schnitt älter als zu Beginn der Anorexie: 21.3 bei der Bulimie, 25.3 beim Binge Eating. Diese Zahlen sagen allerdings nicht so viel aus, denn die Alters-Spannbreite war bei Störungsbeginn ausgesprochen hoch: Als jüngstes Alter wurde 7, als höchstes 55 Jahre angegeben. Im Schnitt dauerte es über 5 Jahre bis zur Überwindung der Essstörung, wobei auch hier eine grosse Spannbreite zwischen kurzen und langen Verläufen bestand. Die längsten Verläufe wurden beim Binge Eating genannt.

Interessant ist auch, dass fast ein Drittel aller Befragten sich gemäss eigenen Angaben übermässig mit gesundheitsfördernder Ernährung beschäftigte, «gesunde» Nahrungsmittel wählte und «ungesunde» vermied und strikte Ernährungsregeln befolgte. Im Fachjargon wird dieses Essverhalten als Orthorexie bezeichnet. Als Erklärung hierzu wird wiederum das hohe Gesundheitsbewusstsein der Schweizer Bevölkerung genannt.

(BAG-Studie, 2012: Schnyder U., Milos G., Mohler-Kuo M., Dermota P., Prävalenz von Essstörungen in der Schweiz)

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